Toleranz eine christliche Übung
Von Kirchenpräsident Dr. Volker Jung
Das Thema „Toleranz“ hat für unsere Gegenwart zentrale Bedeutung. Wie bewältigen wir Vielfalt? Toleranz bedeutet zunächst „erdulden, ertragen“. Sonst würde Zusammenleben nicht funktionieren. Aber echte Toleranz muss mehr sein. Denn bloßes „Dulden und Ertragen“ bedeuten letztlich, sich über den anderen zu stellen und dessen Position für minderwertig zu halten.
Zu Toleranz gehören Respekt und die Anerkennung des persönlichen Bekenntnisses anderer. Toleranz hält bleibende Unterschiede und Fremdheit aus. Toleranz erkennt an, dass andere eine fremde Position vertreten, deren Geltungsanspruch ich nicht teile. Unterschiedliche Wahrheitsansprüche bleiben gegeneinander stehen.
Vielfalt bereichert. Aber sie ist auch anstrengend und kann gefährlich werden, wenn es nicht gelingt, das Leben in Vielfalt friedlich zu gestalten. Genau hier liegt die Herausforderung an Toleranz. Denn Toleranz kann nicht alles dulden. Es gilt: „Keine Toleranz für Intoleranz.“ Eine freiheitliche Gesellschaft kann zum Beispiel nicht zulassen, dass jemand diese Freiheit selbst beseitigen möchte.
Zum modernen Toleranzverständnis hat die Reformation viel beigetragen. Martin Luther reklamiert für sich selbst das Recht zur abweichenden Meinung, er beruft sich auf sein Gewissen. Der Glaube verträgt keinen Zwang, weil der Glaube sich dem freien Wirken des Geistes und so Gott selbst verdankt. Leider hat Luther aber auch eine manchmal unerträgliche Intoleranz gezeigt etwa in seinen Äußerungen über die Juden. Von solchen Aussagen müssen wir uns heute distanzieren.
Theologisch fragen wir nach, wie sich unser Wahrheitsanspruch zu Wahrheitsansprüchen anderer verhält. Nehmen wir exklusiv in Anspruch, dass nur in unserem Glauben Menschen Gott begegnen können? Oder gestehen wir dies anderen auch zu? Wenn wir Toleranz im Sinn von Respekt und Akzeptanz verstehen, was bedeutet dies im Blick auf die Gotteserfahrungen anderer?
Eine Antwort auf diese Fragen finde ich im Buch des Propheten Jesaja (Kapitel 57, Vers 19): „Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht der HERR.“ Gott hat uns sein Wesen und seinen Willen offenbart. Weil Gott sich als ein Gott des Friedens offenbart, sind wir auf den Weg der Toleranz gewiesen. Wir glauben, dass der Gott, der sich für uns in Jesus Christus offenbart hat und der uns die Gewissheit unseres Glaubens geschenkt hat, der Schöpfer aller Menschen ist. Und wir glauben, dass sich sein Heilswillen und seine Liebe auf alle Menschen erstrecken.
Durch unseren Glauben werden wir gestärkt und herausgefordert, unsere Gesellschaft mitzugestalten. Und Toleranz zu üben, wo immer wir das können.